Nach dem knapp erreichten Klassenerhalt in Jahr eins nach dem ersehnten Aufstieg in die 3. Liga, folgte bei Rot-Weiss Essen ein fulminanter Sprint in Jahr zwei, der beinahe in der 2. Bundesliga oder zumindest in den Relegationsspielen zu dieser endete. Am Ende stand RWE auf einem hervorragenden siebten Tabellenplatz.
Klar: Dass dann Träumereien im Umfeld für die dritte Saison in der 3. Liga nach über einem Jahrzehnt Profifußball-Abwesenheit entstanden, liegt auf der Hand. Fußballfans dürfen und sollen träumen. Die Verantwortlichen aber nicht.
Und da wären wir schon bei Baustelle 01 von insgesamt 07, die RevierSport in der RWE-Analyse nennt.
Baustelle 01: Kaderplanung
RWE holte sich sehr viele Absagen auf dem Markt. Um nur einige wenige Spieler zu nennen, die Rot-Weiss einen Korb gaben und sich anderweitig entschieden: Kaan Caliskaner (wechselte von Eintracht Braunschweig zu Motor Lublin nach Polen), Torge Paetow (SC Verl - Preußen Münster), Jakob Lewald (Dynamo Dresden - SV Sandhausen), Julian Kania (1. FC Nürnberg - Arminia Bielefeld), Antonio Foti (Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund II) oder Lex-Tyger Lobinger (1. FC Kaiserslautern - Viktoria Köln).
Das sind schon einmal sechs Spieler, von denen RS weiß, dass RWE um sie buhlte und unbedingt an die Hafenstraße locken wollte. Heißt: Im Endeffekt ging Plan A bei RWE kaum auf - nur in den Fällen Michael Schultz und Ahmet Arslan konnten absolute Wunschspieler auch verpflichtet werden.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Ramien Safi entschied sich für RWE und gegen unterschriftsreife Angebote von Alemannia Aachen und Arminia Bielefeld.
Doch nur zwei oder drei Wunschspieler in einem Sommertransfer-Fenster zu bekommen, ist etwas mager. RWE musste in der Kaderplanung zu oft bei den Verpflichtungen Plan B herausholen, weil Plan A nicht realisiert werden konnte. Und, trotzdem: Direktor Profifußball Marcus Steegmann und Sportdirektor Christian Flüthmann haben mit Sicherheit keinen verkehrten Job gemacht. Lange Zeit musste das Duo nach unseren Informationen um eine Erhöhung des Budgets zur Kaderplanung kämpfen. Es ging gar so weit, dass es zwischen der sportlichen Führung und Vorstand Alexander Rang zum E-Mail-Verkehr kam. Am Ende wurde der Etat für die Profis dann doch leicht erhöht, wie auch Essens Vorstandsvorsitzender Marc-Nicolai Pfeifer im Interview mit dieser Redaktion bestätigte.
Baustelle 02: Kein Ersatz für Götze, Sapina und Obuz gefunden
Wer dachte, dass die Abgänge von Felix Götze, Vinko Sapina und Marvin Obuz nicht wehtun würden, der sieht sich aktuell getäuscht. Ersatz zu finden, das ist das eine, dass dieser dann auch noch funktioniert, das ist das andere. Denn auf den ersten Blick scheinen Spieler wie Schultz, Arslan und Boyamba oder Safi mit den genannten Abgängen mithalten zu können. Aber: das ist vielleicht nur auf den ersten Blick der Fall. Denn aktuell hat RWE keine Achse. Golz - Götze - Sapina - Obuz: das war die RWE-Achse der Vergangenheit.
Aktuell steht Jakob Golz seinen Mann, dann klafft eine Lücke, dann kommt Arslan und dann ist wieder nichts zu sehen. Spieler wie Schultz oder Kraulich agieren mit Licht und Schatten. Auch ein José-Enrique Rios Alonso ist kaum wiederzuerkennen. Der Grund: er braucht einen perfekten Nebenmann an seiner Seite, der ihn führt - so wie es Götze getan hat.
Die 21 Scorerpunkte (sieben Tore, 14 Vorlagen) von Obuz fehlen RWE sehr. An den 15 bisher geschossenen Toren waren gleich acht Spieler beteiligt. Klar: Einige werden sagen, dass das gut ist, weil RWE so weniger berechenbar ist. Doch Fakt ist auch, dass eigentlich jedes gute Team einen Torjäger, Top-Scorer oder Unterschiedsspieler benötigt. Dieser ist bei RWE, einzig mit Abstrichen Arslan, aktuell nicht zu sehen.
Vinko Sapina: Was wurde dieser Abgang in den sozialen Medien gefeiert. 250.000 Euro für den RWE-Kapitän. Guter Deal, hieß es von vielen Seiten. Doch nun werden auch diese Stimmen, die RWE wohlgesonnen sind, zugeben müssen: einen Nachfolger für Sapina gibt es nicht! Diese Fußstapfen sind für Jimmy Kaparos noch zu groß. Er, Arslan oder Torben Müsel orientieren sich in ihrem Spiel eher offensiv. Die Defensive wird vernachlässigt und so klafft eine Lücke zwischen Mittelfeld und Abwehr. Sapina war der perfekte Staubsauger, der Motor, der das Spieltempo bestimmte und alles im Blick hatte. Natürlich hatte auch er seine Schwächephase und mit seinem Knie zu kämpfen. Doch letztendlich war er der Denker und Lenker im RWE-Spiel. Diesen gibt es im Team von Christoph Dabrowski aktuell in dieser Form nicht.
Und, nicht zu vernachlässigen: Sapina hielt die RWE-Kabine sauber. Der Kroate war der Chef im Haus. Sein Wort hatte Gewicht. Zudem kümmerte er sich um seinen Landsmann Leonardo Vonic und verpasste diesem, wenn es sein musste, einen verbalen Tritt in den Allerwertesten. Vor Sapinas Ansage hatte dann auch der coole Vonic Respekt und lieferte letztendlich mit neun Toren und sechs Vorlagen in 35 Drittligaspielen eine gute Saison ab.
Baustelle 03: die Hafenstraße
Rot-Weiss Essen gehörte in der vergangenen Saison zu den besten Heimmannschaften der 3. Liga. In dieser Serie sieht das anders aus: zwei Siege, ein Remis, drei Niederlagen. Konsequenz: RWE gehört zu den vier schlechtesten Heim-Teams.
Im Schnitt kommen über 15.000 Fans zu den Spielen im Stadion an der Hafenstraße. Seit jeher wird erzählt, dass dieses Pflaster in Bergeborbeck ein ganz besonderes sei, dass man in Essen nur schwer bestehen könne. Doch dieser Mythos ist längst verflogen. Auch ein SC Verl, ohne den Ostwestfalen nahezutreten zu wollen, kommt mal an die Hafenstraße und siegt mit 3:1.
Von der Hafenstraßen-Kulisse lässt sich kaum noch ein Drittligist beeindrucken. Und hier liegt das Problem: Denn die Spieler müssten vorangehen und schon in den Katakomben dem Gegner zeigen, dass es hier ganz speziell zugeht. Danach kommt der Auftritt auf den Rasen und letztendlich auf den Rängen. Mannschaft und Fans müssen wieder Doppelpass spielen und den Hafenstraßen-Mythos peu-á-peu wieder aufleben zu lassen. Dass das geht, bewies RWE bereits in der vergangenen Saison.